And you may find yourself living in a shotgun shack
And you may find yourself in another part of the world
And you may find yourself behind the wheel of a large automobile
And you may ask yourself, „Where does that highway go to?“
And you may ask yourself, „Am I right, am I wrong?“
And you may say to yourself, „My God, what have I done?“
– Talking Heads, Once in a Lifetime
Business-Coaches predigen den Elevator-Pitch, selbsternannte „spirituelle Führer“ das I-am-Statement. Wenn mir jemand sagt „Ich bin Arzt!“ oder „Ich verkaufe Träume!“, hat das für mich noch nicht sehr viel Aussagekraft. „Ich bin Yoga-Lehrer!“ oder „Ich züchte Mini-Ponies!“ ist schon etwas anderes. Trotzdem sind all diese Schnipsel nur ein Bruchteil einer Person, und ich interessiere mich grundsätzlich speziell für das, was im Schatten liegt. Das ist wahrscheinlich schon die wichtigste Info über mich.
Für die, die es interessiert, schreibe ich trotzdem noch etwas mehr: Wo ich herkomme und wie ich hier gelandet bin. Auf Ærø. In Dänemark.
Die lange Version
Mein Leben ist eine kleine Odyssee. Geboren wurde ich im Sommer 1972 in Düsseldorf. Aufgewachsen bin ich in einem Dorf am Niederrhein. Ich war schon als Kind ein Eigenbrötler: introvertiert und am liebsten draußen im Matsch (später im Pferdestall) oder mithilfe eines Buchs oder des Fernsehers ganz weit weg. In der Schule war ich gut, aber ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was aus mir werden sollte. Aus Verlegenheit studierte ich Germanistik und Medienwissenschaft, fühlte mich aber in meinem Studentenjob in einem Teeladen viel wohler als an der Uni.
Der Beginn eines Irrwegs
Durch ein Praktikum und wegen des steigenden Drucks endlich erwachsen zu werden (was meiner damaligen Überzeugung nach bedeutete, richtig Geld zu verdienen), landete ich schließlich als Online-Redakteurin in einer Agentur, die sich als Geldwaschanlage der Mafia entpuppte. Mein Leben war zum ersten Mal sehr aufregend, aber am Monatsende bekam ich von meinem Chef immer nur ungedeckte Schecks.
Ich wechselte in eine seriöse Agentur, lernte viel, verdiente viel – und verlor mich selbst. Weil mein Job vor allem aus Design und Programmierung bestand, wofür mir jegliches Talent fehlte. Aber es war um die Jahrtausendwende herum, und es herrschte Goldgräberstimmung in der Branche. Mittelmäßige Arbeitsergebnisse reichten aus, jedenfalls meinem Arbeitgeber und seinen Kunden. Ich selbst fuhr jeden Morgen mit Bauchschmerzen in die Agentur und fühlte mich zusehends schlechter. Als die Dotcom-Blase platzte und fast die gesamte Belegschaft entlassen wurde, war ich erleichtert. Unglaublich erleichtert.
Doch anstatt meinen eingeschlagenen Weg, der offensichtlich gar nicht der richtige für mich war, zu korrigieren, machte ich mich mit dem bis dahin Gelernten selbstständig. Wahrscheinlich mangels Alternativen. Der Rubel musste schließlich weiter rollen, und andere Ideen oder Fähigkeiten hatte ich nicht.
Weil ich so introvertiert und lieber allein war als werbewirksam zu netzwerken, kam ich in den folgenden Jahren gerade so über die Runden. Mit einer Tätigkeit, die ich überhaupt nicht mochte. Es brauchte nur noch ein paar sehr unerfreuliche Erlebnisse, und ich rutschte in meine erste große Depression. Hätte ich keinen Hund gehabt, hätte ich mich damals wahrscheinlich aus diesem Leben verabschiedet. Aber so vegetierte ich noch eine Weile im Survival Modus herum, aus dessen Fängen man sich bekanntlich nicht so leicht befreit. Es gelang mir trotzdem, jedenfalls für den Moment.
Ich wusste, ich brauchte dringend eine Veränderung. Eine drastische. Es schien mir eine gute Idee, mein gewohntes Umfeld, dessen Radius sich seit meiner Kindheit nie gravierend verändert hatte, zu verlassen. Magic happens outside your comfort zone. Das hatte ich jedenfalls mal irgendwo gehört. Auf der Suche nach einer Teilzeitstelle im deutschsprachigen Ausland, die mir ein Überbrückungsjahr zum Fuß fassen ermöglichen sollte, schickte ich Bewerbungen nach Österreich und in die Schweiz. Knapp einen Monat später zog ich nach Wien. Und ich bekam, was ich mir gewünscht hatte: große Veränderungen. Nicht alle waren schön.
Wien
Wien krempelte mich von innen nach außen. Noch heute verbindet mich eine Hassliebe mit dieser wunderschönen Stadt voller Abgründe. Wenn ich einen Wiener Tatort sehe, bekomme ich sofort Heimweh. Manchmal kommt mir meine Zeit dort vor wie ein Traum. Ein schöner Traum. Ein Fiebertraum. Ein Albtraum. Ich lernte viele spannende Leute kennen. Herzensgute Menschen, abgrundtief böse Menschen, eine Voodoo-Priesterin, viele Künstler und Kriminelle. Ich schrieb mein erstes Buch, eher ein Unfall, aber es lieferte mir die Erkenntnis, dass ich einen ganzen Roman zustande bringen konnte. Keinen besonders guten, aber immerhin eine komplette Geschichte, die sogar ein paar Leute kauften. Und es hatte Spaß gemacht!
Ich hatte gerade mein zweites, diesmal ernsthaftes Buch begonnen, als bei meinem inzwischen alt gewordenem Hund (meinem Lebensretter!) Krebs diagnostiziert wurde. Es folgten Operationen, horrende Tierarztrechnungen und Monate des Hoffens und Bangens, über mir das Damoklesschwert der Entscheidung, vor der jedem Tierhalter graut. Als es soweit war, war es schrecklich. Ich saß danach stundenlang in einem U-Bahnhof im Dreck und konnte nicht aufstehen. Die Trauer fraß sich fest, und ich fühlte mich wie amputiert. Der dunkle Schatten einer neuerlichen Depression lauerte bereits über mir wie ein hungriger Dementor. Aber dann hatte ich unverhofftes Glück.
Ernstbrunn
Durch Recherchen für mein Buch, in dem Wolfshybriden und eine junge Biologin eine tragende Rolle spielten, erfuhr ich vom Wolf Science Center in Ernstbrunn. Ich stellte fest, dass es gar nicht weit von Wien entfernt war und machte mich spontan auf den Weg dorthin. Ich weiß noch genau, wie ich das erste Mal in Ernstbrunn aus dem Bus stieg. Es ist eine kleine Gemeinde im österreichischen Weinviertel. Eigentlich nichts besonderes, wenn man davon absieht, dass etwas außerhalb ein weltweit einzigartiges Forschungsinstitut zuhause ist. Ich stieg also aus dem Bus und hatte ein ganz seltsames Gefühl. Eine Vision oder ein Dejá-vu oder eine Vorahnung, irgendetwas in der Art. Noch bevor ich die Wölfe heulen hörte, wusste ich, dass ich dorthin gehörte. Wenige Monate später hatte ich einen Job am Wolfsforschungszentrum und eine Wohnung in dem Haus, vor dem der Bus immer hielt.
Es folgten die stressigsten, aufregendsten, lehrreichsten und transformierendsten Jahre meines Lebens. Ich hatte keine Zeit mehr für mein Buch, und der Stress begann meine Gesundheit zu ruinieren. Aber ich liebte so vieles an meiner Arbeit. Die Wölfe, den Wildpark, den magischen Ernstbrunner Wald und das Schloss, die Kollegen, die Studenten aus aller Welt, meine Wohnung direkt über dem Eiscafé, die unmittelbare Nähe Osteuropas, für das ich immer schon schwärmte. Ich hatte ein paar sehr merkwürdige Erlebnisse, die mein zuvor streng wissenschaftliches Weltbild in Schutt und Asche legten. Und ich öffnete mein Herz. Drei Jahre nach dem Tod meines ersten Hundes adoptierte ich Tonks, einen schon etwas älteren Huskymischling aus dem Wiener Tierheim.
Zurück in die Heimat
Dann wurden meine Eltern schwer krank. Meine Mutter hatte Alzheimer, mein Vater Herzinsuffizienz und, wie sich später heraus stellen sollte, Parkinson. Ich zog zurück nach Deutschland. Meine Mutter starb im Spätsommer 2020, mein Vater im darauf folgenden Frühjahr. Beide viel zu früh, und beide nach einem fürchterlichen Leidensweg, der mich tief erschüttert hat. Der Dementor, der über Jahre so geduldig auf einen günstigen Moment gelauert hatte, nutzte seine Chance. Corona hatte Deutschland immer noch fest im Griff. Ich war gelähmt von Trauer und Wut, hatte eine Schreibblockade und war für jeden normalen Job verdorben.
Ich überlegte, nach Ernstbrunn zurück zu gehen. Aber die Zeit mit meiner Familie hatte eine alte Sehnsucht wieder erweckt: Die Ostsee. Weil ich mittlerweile noch einen zweiten Hund mit einer Menge Unarten adoptiert hatte, machte ich mich auf die Suche nach einem kleinen Häuschen mit Garten. Es sollte bezugsbereit und maximal einen Kilometer von der Küste entfernt sein. Schnell musste ich einsehen, dass ich so etwas mit meinem überschaubaren Budget in Deutschland nicht finden würde.
Doch bei den nordischen Nachbarn waren die Immobilienpreise vergleichsweise niedrig. Schon meine Eltern hatten immer von einem Haus in Dänemark geträumt. Wir hatten seit jeher den Sommerurlaub in Nyborg auf Fyn verbracht. Ich hatte in Assens Laufen gelernt. Meine abenteuerlustige Tante Hanne, eigentlich meine Großcousine, ist Dänin und lebt in Kopenhagen. Da ich sowieso nicht an Deutschland hing, nahm ich es als Wink des Schicksals und weitete meinen Suchradar auf den Süden Dänemarks aus.
Marstal
Im Mai 2022 kaufte ich einen Campervan, um ein paar Häuser zu besichtigen, die zu meinen Vorstellungen passten. Eines lag auf Als, eines auf Langeland und drei weitere auf Ærø, der wohl hyggeligsten aller Inseln. Ich verliebte mich sofort in Ærø und entschied mich für ein weißes Cottage in Ommel. Und hier bin ich nun, kämpfe mit der dänischen Sprache und einigen Überraschungen, die das Haus für mich parat hielt. Aber so langsam legt sich der Staub. Das Schreiben funktioniert wieder. Die Energie kommt zurück. Die Hunde sind glücklich, und ich bin auch schon ganz nah dran. Was kommt wohl als nächstes?
Wer wissen möchte, was mich aktuell bewegt, kann auch in meinem Blog stöbern.